HEi Haus der Eigenarbeit: Offene Werkstätten, Kurse, Kultur, Treffpunkt, Werkzeugverleih
2017 hat das Haus der Eigenarbeit (HEi) sein 30-jähriges Bestehen gefeiert.
“Wenn es was zu machen gibt: HEi!“ ist seit einiger Zeit der Slogan, der die Attraktivität des Bürgerhauses mit Offenen Werkstätten kennzeichnet. Vieles ist möglich oder wird machbar. Im innenstadtnahen Stadtteil Haidhausen gelegen, zieht das HEi alltäglich zahlreiche Menschen an, die kreativ werden oder etwas handwerklich selber machen wollen, die ein anregendes und gleichzeitig entspannendes Ambiente erleben wollen.
Ziele des Modellprojekts
„Sinnvolle psychisch, sozial und ökonomisch bereichernde Tätigkeiten in der erwerbsarbeitsfreien Zeit, eine Verbesserung der Lebenslage durch Eigenarbeit, produktive statt konsumtive Nutzung der freien Zeit“ – das waren die Ziele der gemeinnützigen Forschungsgesellschaft anstiftung, mit denen sie ihr Engagement für das HEi begründete. Sie ging davon aus, dass Menschen ein Bedürfnis nach selbstbestimmter Arbeit haben, dass ihnen aber insbesondere in den Städten häufig die entsprechende Infrastruktur, die Produktionsmittel und inzwischen auch das Wissen fehlen.
Eigenarbeit heißt: Produktiv tätig werden im eigenen Auftrag und zum eigenen Nutzen – handwerklich, sozial oder kulturell. Arbeiten ist hier gebunden an die selbst formulierten Bedürfnisse und an deren Gebrauchswert, gemeinschaftliche Bedürfnisse und Nutzen eingeschlossen. Diese gesellschaftlich wichtige Form von Arbeit aufzuwerten ist Anliegen des Hauses der Eigenarbeit. Praktische Fähigkeiten werden hier entwickelt und geübt. Und beim Tätigsein entsteht Respekt im Umgang mit Materie. Die erworbene Kompetenz verleiht ein Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstwert. Manchmal entwickelt Eigenarbeit auch eine therapeutische Kraft – körperlich und seelisch. Oft macht es einfach Spaß, sich als Schöpfer/in von etwas Schönem oder Nützlichem zu erleben. Viele sagen, sie tanken Lebenskraft. Eine Besucherin: „Ich habe meinen Akku aufgeladen.“
Entwicklungsschritte
Träger der Einrichtung ist der Verein zur Förderung von Eigenarbeit e.V., dessen anerkannter gemeinnütziger Zweck die Volksbildung ist.
Von 1987 bis 1990 dauerte die wissenschaftlich begleitete Aufbauphase. Es zeigte sich, dass die Vision selbst bestimmter Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit in der Form eines Bürgerhauses Praxis werden konnte und von den Münchnern in Anspruch genommen wurde. Bis zur Unabhängigkeit von der Forschungsgesellschaft anstiftung dauerte es noch einige Jahre. Seit 1995 leistet die Landeshauptstadt München wesentliche Beiträge zur Finanzierung des Hauses.
Seit 2000 war der Verein auch aktiv, um die Idee und Praxis der Eigenarbeit in der Stadt und Region zu verbreiten. Er mischte bei der Lokalen Agenda 21 mit und legte den Grundstein für Schulprojekte, die heute ein wichtiges Standbein des Projektes sind. Eine neue Stufe der Verbreitung – nach dem Motto „Kooperation statt Konkurrenz“ – ist die Vernetzung mit anderen Offenen Werkstätten und Ateliers, zunächst in München, dann im Rahmen des Verbunds Offener Werkstätten, der mittlerweile Mitglieder im gesamten Bundesgebiet und den angrenzenden deutschsprachigen Regionen im Ausland hat.
Angebote des HEi
Einzigartig ist die breite Angebotspalette, zunächst die Vielfalt der professionell ausgestatteten und betreuten Werkstätten, sodann die Offenheit für verschiedene Nutzungsformen (selbständige Nutzung mit Unterstützung des Werkstattdienstes, Nutzung mit Fachberatung – beide Formen spontan ohne Anmeldung – sowie Kursnutzung). Maschinen und Werkzeuge sind im Verleih. Material kann gekauft, aber auch mitgebracht werden. Die handwerkliche Eigenarbeit steht im Mittelpunkt, doch es ist auch Raum für kulturelle und soziale Aktivitäten.
Alle fünf bis sechs Wochen wechseln die Ausstellungen im Foyer. Hier haben Aktive in den Werkstätten, Künstler*innen aus der Nachbarschaft, aber auch anderer Bewerber Gelegenheit, ihre Kunstwerke auszustellen. Gern ist das HEi Sprungbrett für Neulinge im Ausstellungsbetrieb, doch gelegentlich stellen auch renommierte Künstler aus.
Das HEi-Team nimmt immer wieder Anregungen auf, die aus der Nutzerschaft und der Stadtgesellschaft hereingetragen werden. Einige Beispiele:
– 2008 gründete sich ein Interkultureller Erfinderclub aus dem Austausch zwischen dem länger schon im HEi aktiven Solarverein und einzelnen Wissenschaftlern aus der ehemaligen Sowjetunion, die in der Metallwerkstatt tüftelten.
– Aus ersten Kontakten 2009 mit dem Münchner Bündnis gegen Depression entstand die Idee, eine Inklusive Kulturwerkstatt für Menschen mit psychischen Belastungen zu entwickeln. 2011 startete das Pilotprojekt „Kulturwerkstatt Vergolden“; 2012/13 wurde das Angebot mit Mitteln der Stiftung Soziales München und einer Nachlass-Spende weitergeführt. Der neue Name MUT.KUNST.WERK ist ein Ergebnis der Zusammenarbeit im Rahmen eines start social-Stipendiums.
– 2009 schenkte ein Freund des Hauses dem HEi seine komplette Feinmechanik-Werkstatt mit zwei computergesteuerten Maschinen. Daraus entstand – mit tatkräftiger Unterstützung von Ehrenamtlichen – die neueste Werkstatt, HEi Tec genannt.
– 2011 regten zwei Frauen, die sich freundschaftlich mit dem HEi verbunden fühlen, die Veranstaltungsreihe „Selber denken – Philosophisches Café im HEi“ an. Es findet einmal monatlich statt zu Themen, die zum Haus passen, z.B.: „Kann Arbeit glücklich machen, oder sollen wir das Lob der Faulheit anstimmen?“
– Seit Herbst 2013 organisieren Ehrenamtliche das Fasercafé, einen offenen Treff für Menschen, die gern stricken, spinnen, häkeln.
Ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des HEi war die Öffnung für Schulen. Mit Schüler*innenworkshops werden seit 2000 immer stärker die Zeiten am Vormittag außerhalb des offenen Publikumsbetriebs genutzt und inzwischen auch ein Drittel der Betriebseinnahmen erzielt. Nicht zuletzt machen hier junge Menschen wichtige Erfahrungen mit „richtiger Arbeit“, und daraus erwachsen ihnen Chancen auf dem Ausbildungsmarkt.
2012 griff das HEi sehr gern die holländische Initiative Repair Café auf, fand kompetente Freiwillige und bietet seitdem viermal im Jahr Reparaturnachmittage auch für Elektro- und Elektronikgeräte an.
Inanspruchnahme
Die offenen Werkstätten können von jedem, ob Anfänger*in oder Könner*in, genutzt werden, um eigene Projekte umzusetzen. Und egal, ob nur ein Brett gekürzt werden muss oder das Traumbett gebaut werden soll – jede/r ist willkommen.
Dieses Angebot in 8 verschiedenen Werkstätten nutzten im Jahr 2013 knapp 1.500 Menschen fast 5.000 mal.
Stark nachgefragt sind auch die Einsteigerkurse in jeder Werkstatt. 2 Tage Buchbinden, 6 Stunden Nähen I, 3,5 Stunden Schnupperkurs Drehen – diese und weitere Kurse sind schnell ausgebucht. 1.910 Kurstage zählte das HEi 2013.
Hinzu kommen geschlossene Angebote für verschiedene Bildungsträger (Schulen, Jugendhilfe, Volkshochschule) und Partner wie z.B. das Münchner Bündnis gegen Depression.
Dem HEi ist es immer gelungen, eine bunt gemischte Nutzerstruktur zu erhalten: Junge und Ältere, Männer, Frauen und alle, Arme und Wohlhabende, Berufstätige und Erwerbslose, Inländer und Ausländer, Anfänger*innen und Quasi-Profis, Einzelpersonen und Familien, Gelegenheitsnutzer und Stammgäste. Dies macht einen besonderen Reiz des Bürgerhauses aus.
Nutzerstimmen
Das HEi ist attraktiv wegen seiner positiven sozialen Atmosphäre. Außerdem hält es Arbeitsmöglichkeiten bereit, die im Alltag sonst nicht unmittelbar verfügbar sind.
– Hallo liebes HEi-Team, immer wieder komme ich sehr gerne zu Euch 🙂 !!!
Wollte – anlässlich dessen, dass neulich mal wieder ein paar ‚Produkte‘ fertig geworden sind – mal Danke sagen für Eure tolle Einrichtung, die gute Unterstützung in den Werkstätten, die nette Atmosphäre bei Euch & überhaupt! (Steffi)
– Vielen Dank für den interessanten (Schnupper)Lehrgang „Schmieden“. Ich bin zufrieden nach Hause gefahren. (Heinz)
– Weiterhin viel Erfolg mit Ihrer wunderbaren Arbeit im HEi. Dieser Ort ist ein Ort wo man sich besonders wohlfühlen kann. (Anita)
– Ich wollte Ihnen – auch im Namen der anderen Eltern und Kinder – noch mal herzlich danken. Die Kinder hatten alle (auch die anfangs skeptischen) großen Spaß an der Arbeit mit Holz, und der Schreiner hat sie großartig begleitet! (Sabine)
– Ich bin zwar nicht sehr oft bei Ihnen, aber wenn, dann schätze ich sowohl das Arbeiten als auch die allgemeine positive Atmosphäre. (Rudolf)
– Bei Einladungen werden meine neu bezogenen Esstischstühle immer bewundert, wobei ich immer von HEi erzähle. (Edith)
– Ich bin infiziert, mit dem Nähvirus 🙂 Vielen Dank für die Anleitung und die reichliche Zeit und Hilfe. (Lukas)
– Im HEi kann ich meine handwerklichen Ambitionen voll ausleben. Gerade das Nebeneinander der vielen Gewerke – Holz- und Metallwerkstatt, Polsterei, Schmuckwerkstatt und so weiter – ist sehr inspirierend. Hier finde ich Unterstüt-zung in allen nur denkbaren Fragen, und das alles in einer Atmosphäre, in der sich hoher Qualitätsanspruch und entspanntes, freundschaftliches Miteinander wunderbar ergänzen. (Rainer)
– Es tut gut, mit seinen eigenen Händen etwas entstehen zu lassen, etwas kreativ zu gestalten. Während der Arbeit fokussiert sich all mein Denken auf das Tun und ich finde dabei größtmögliche Entspannung nach einem anstrengenden Arbeitstag. (Viola)
– Ganz großes Lob für die Idee und die Umsetzung dieser öffentlich zugänglichen Werkstatt!! (Nutzer der Tec-Werkstatt)
Vorbildcharakter des HEi
Das HEi orientierte sich bei seiner Gründung an einer gesellschaftspolitischen Vision zur Zukunft der Arbeit, die in den 80er Jahren von Philosophen, Ökonomen und Sozialwissenschaftlern stark diskutiert wurde. Die Umsetzung in die Praxis eines Bürgerhauses, mehrfach wissenschaftlich evaluiert, wurde von Initiativgruppen in anderen Städten aufmerksam verfolgt. In Kooperation mit der Forschungsgesellschaft anstiftung sorgte das HEi für die Dokumentation und Veröffentlichung der Erfahrungen im Modellprojekt, beriet Initiativgruppen, ermöglichte Hospitationen und Praktika. Offene Werkstätten in Wolfen, Tübingen, Bozen, Aachen, Kempten, Berlin und Potsdam orientierten sich am Modell HEi.
Auch die Medien brachten Reportagen aus dem HEi, wenn sie Beispiele für „neue Arbeit“ beschreiben wollten.
Was wurde in ökologischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht erreicht?
Menschen machen praktische Erfahrungen mit nachhaltigem Lebensstil und postmaterieller Lebensqualität; im Einzelnen:
Ökonomisch/ökologisch: Werkstätten und Maschinen werden gemeinschaftlich genutzt, Wissen wird geteilt. Entschleunigung durch Selbermachen statt Kaufen. Ressourcenschonung durch Reparieren und Upcycling statt Wegwerfen.
Sozial: Integration verschiedener Milieus und Kulturen beim praktischen Tun; Inklusion psychisch belasteter Menschen in den offenen Angeboten und im Team. Café/Treffpunkt ohne Verzehrzwang; Förderung der Nachbarschaft.
Kulturell: Ästhetische Bildung beim handwerklichen Schaffen. Ausstellungen als künstlerische Plattform für Kreative. Partner der Schulen für praktisches Lernen.
Last but not least: Das HEi hat ein Jahresbudget von ca. 500.000€ und erwirtschaftet mehr als die Hälfte aus eigenen Einnahmen.
(Elisabeth Redler, Mai 2014)